Interview mit Stefanie Lang, CEO der Weltnaturerbe-Stiftung (Legacy Landscape Fund) 

Stefanie Lang

Frau Stefanie Lang wurde ohne Scherz am 1. April 2021 als CEO der Naturwelterbe Stiftung (Legacy Landscape Fund) eingestellt. Und wir konnten am 10 Juni 2021 mit ihr über ihre Pläne für die nächsten 15 Jahre sprechen.

SenGermany: Guten Tag Frau Lang. Was werden Sie am 22. Mai 2022 machen. Das ist seit 2001 der Internationale Tag der biologischen Vielfalt. Haben Sie schon ein Programm?

Stefanie Lang: Ich werde den Tag auf jeden Fall in irgendeiner Form begehen. Denn das Tempo, in dem wir Flora und Fauna, Ökosysteme und Dienstleistungen verlieren, ist im Moment so groß, dass wir solche Daten nutzen müssen, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Und um klarzustellen, dass wir die Entwicklung noch umkehren können. Aber dafür braucht es viel Kraft und viel Geld und einen großen Willen.

SenGermany: Apropos Zeit, dazu lese ich Ihnen etwas vor: „Nicht mehr Bäume fällen, als wieder nachwachsen können.“ Von Hans-Carl von Carlowitz aus dem Jahr 1713. Sind wir Menschen nicht lernfähig? Es ist so lange bekannt. Doch wir werden immer schlimmer.

Stefanie Lang: Damals gab es das Problem in Europa, das sich zu entwickeln begann. Jetzt haben wir überall auf der Welt Entwicklung. Das ist auch gut so, aber dadurch stehen wir immer wieder vor dem Konflikt zwischen: „wie weit entwickeln wir uns und wie weit schützen wir die Natur?“ Mit diesem Konflikt müssen wir umgehen, weil wir mehr Menschen werden, die mehr Kühlschränke haben und mehr Autos fahren wollen. Mit anderen Worten: Das Problem ist bekannt, aber es hapert an der Umsetzung.

SenGermany: Das heißt, Sie haben eine schwierige Aufgabe.

Stefanie Lang: Ja!

SenGermany: Wie viele Jahrzehnte brauchen wir dafür?

Stefanie Lang: Wie viele Jahrzehnte ist es her, dass Hans-Carl von Carlowitz das gesagt hat? Und damals gab es keinen Klimawandel! Wir haben nicht mehr viel Zeit, weil wir jetzt kurz vor dem Punkt stehen, an dem wir den Klimawandel nicht bremsen können und an dem die Schädigungen durch den Klimawandel so groß sein werden, dass es kein Zurück gibt.

 

SenGermany: Also es ist fünf vor zwölf?

Stefanie Lang: Wahrscheinlich schon zwei vor zwölf.

SenGermany: Ich wundere mich, warum eine solche Stiftung diese Arbeit machen soll, obwohl die UNO eigentlich die Mittel hätte und theoretisch auch die Abteilungen. Wie kann es denn sein, dass das UNO-Personal nicht in der Lage ist, eine solche Aufgabe zu übernehmen?

Stefanie Lang: Ich glaube, dass wir viele Akteure für diese große Aufgabe brauchen. Niemand, sei es die UNO oder eine einzige Stiftung bzw. ein Staat oder eine NGO, kann diese Arbeit allein machen. Es ist wichtig, dass alle zusammenarbeiten. Das ist ein globales Problem, deshalb brauchen wir viele verschiedene Menschen, Aktionsräume und auch viele Organisationen, die jeweils beitragen, was sie am besten können. Die Stiftung ist gegründet worden, weil Naturschutzprojekte langfristige Finanzierungen brauchen. Wir müssen von Projekten und Programmen wegkommen, die nur drei oder fünf Jahre dauern. Schutzgebiete brauchen langfristige finanzielle Sicherheit, damit die Verantwortlichen dort nicht ständig schauen müssen, wo das nächste Geld herkommt. Das ist eine Lücke, die mit dem Legacy Landscapes Fund geschlossen worden ist. Das kann die UNO nicht unbedingt schließen. Und die UNO schließt auch keine Partnerschaften mit NGOs, wie wir das tun. Aber sie ist unglaublich wichtig für andere Bereiche, die wir brauchen: für internationale Standards und internationale Finanzierungsströme. Jeder dieser Akteure hat seine Berechtigung.

SenGermany: Warum sind Sie auf 15 Jahre gekommen. Warum nicht zehn oder 20 Jahre?

Stefanie Lang: 15 Jahre sind ein guter Zeitraum: Lang genug, um Sicherheit zu schaffen. Aber gleichzeitig auch überschaubar genug, damit Dinge wirklich vorangehen. Tatsächlich hoffen wir mit dem LLF einen Schritt in Richtung Ewigkeitsfinanzierung zu gehen.

SenGermany: Das heißt, wenn ich heute einen Baum pflanze und Sie mich 15 Jahre unterstützen, ist der Baum so ausgewachsen, dass er nicht mehr aussterben kann?

Stefanie Lang: Hoffen wir es mal. Nach 15 Jahren haben wir auf jeden Fall eine Perspektive für eine längerfristige Finanzierung schaffen können. Wir wollen ja eigentlich nicht nur die 15 Jahre finanzieren, sondern in der Zeit ein System und eine Zusammenarbeit schaffen, bei der der Fonds keinen Vertrag mehr mit einer bestimmten NGO hat, um ein Schutzgebiet zu unterstützen, sondern bei der es dann weitere Akteure gibt, die aus verschieden Quellen eine Finanzierung bereitstellen können. 

Senegals Vogelpark Djoudj, Winterquartier der Zugvögel aus dem Münsterland, wurde Ende der 1980er Jahre mit einer Finanzierung des Landes Nordrhein-Westfalen vom Wüstensand gerettet.

SenGermany: Wir führen das Thema weiter. Nehmen wir an, Sie fördern einen Naturwald und helfen den Menschen dort, den Wald zu schützen. Und später kommt ein Unternehmen oder ein Staat und sagt, da soll eine Autobahn hin oder das ist ein Bergbaugebiet. Wäre es nicht vertane Zeit gewesen, wenn Sie dort 15 Jahre lang Geld reingesteckt hätten. Welche Garantie könnten Sie denn haben?

Stefanie Lang: In so einem Fall gibt es vielleicht keine finale Garantie. Wir sehen das jetzt im Amazonas, wo gerade schlimme Abholzungen passieren, obwohl die Welt viel unternommen und viel Geld investiert hat, um den Wald zu schützen. Die indigene Bevölkerung leidet am aller meisten unter diesem Raubbau. Deshalb versuchen wir eine schriftliche Zusicherung der jeweiligen Regierung zu bekommen, dass dieses Schutzgebiet auf Dauer unverletzt bleibt. Man kann das Risiko zudem mindern, indem man beweist, dass ein Schutzgebiet auch ökonomische Vorteile hat.

SenGermany: Ich habe in Ihren Unterlagen gesehen, dass eine Ihrer nächsten internationalen Konferenzen in China stattfinden wird. Stimmt das?

Stefanie Lang: Ja, das ist die Staatenkonferenz zur Biodiversitäts-Konvention. Sie wird nächstes Jahr im Frühjahr in Kunming (China) stattfinden.

Das Kunming International Convention and Exhibition Center wird im April/Mai 2022 die UNO-Biodiversitätskonferenz beherbergen.

SenGermany: Für uns Afrikaner klingt das nach Green Washing chinesischer Art, weil die Chinesen dafür bekannt sind, in Afrika Edelholze abzubauen. Wie kann es denn sein, dass China für Sie eine internationale Konferenz veranstaltet und genau das Gegenteil in Afrika tut?

Stefanie Lang: Wir sind dort nicht allein. Das ist eine internationale Staatenkonferenz der Vereinten Nationen, die dieses Mal in China stattfindet. Die Konferenzschauplätze wechseln. Da es dort um entscheidende Weichenstellungen beim Schutz von Biodiversität geht, ist es wichtig und folgerichtig, dass der LLF dort präsent ist.

SenGermany: Jetzt lese ich Ihnen ein Gedicht vor:

Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum
Still und verklärt wie im Traum.
Das war des Nachts elf Uhr zwei.
Und dann kam ich um vier
Morgens wieder vorbei,
Und da träumte noch immer das Tier.

Nun schlich ich mich leise – ich atmete kaum –
Gegen den Wind an den Baum,
Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.
Und da war es aus Gips.

Veröffentlicht / Quelle:
103 Gedichte Ernst Rowohlt 1933, Seite 57-58
Joachim Ringelnatz

1933 sprach der Autor schon von Rehen aus Gips. Wenn es so weitergeht, kann es sein, dass wir unseren Enkelkindern nur noch Rehe aus Gips zeigen können. Wie sehen Sie das?

Stefanie Lang: Das ist eines unserer Anliegen beim Legacy Landscapes Fund. Wir wollen Tiere geschützt sehen. Aber wir müssen aufhören, zu sagen, ein Reh ist ein wunderbares Tier. Das darf nicht aussterben. Auch Tiger, Elefanten oder Löwen gelten als majestätisch und deshalb wollen wir sie erhalten. Dagegen Ameisen oder Spinnen finden wir ekelig und deshalb nicht so wichtig. Tatsächlich sind alle Teile der Natur wichtig und erfüllen eine entscheidende Funktion in ihrem Ökosystem, in der Regel im Zusammenspiel mit anderen Tieren oder Pflanzen. Deshalb brauchen sie alle den nötigen Raum und die entsprechende Ruhe und Ungestörtheit, damit dieses Gleichgewicht aus Flora und Fauna erhalten bleibt oder sich wieder stabilisieren kann.

Im Senegals Vogelpark Djoudj leben auch Krokodile. Doch hier wuchert das Wassersalat Pistia stratiotes, die andere Pflanzen verdrängt. 

SenGermany: Können Sie von einem Projekt sprechen, das gerade Läuft.

Stefanie Lang: Leider noch nicht. Wir stehen am Anfang unserer Arbeit und haben noch keine laufenden Projekte. Im Moment sind wir bei der Auswahl von sogenannten Piloten, mit denen wir unsere Fördertätigkeit beginnen.

SenGermany: Wer ist antragsberechtigt?

Stefanie Lang: Antragsberechtigt waren in dieser ersten Pilotphase große internationale Organisationen und NGOs, die mit lokalen Naturschutzparks - „Landscapes“ - zusammenarbeiten.

SenGermany: Also sie müssen international sein?

Stefanie Lang: Nein! Nur in dieser Anfangsphase, die anders läuft als spätere Ausschreibungen. Jetzt waren es erst einmal internationale NGOs, die vor Ort mit Regierungen und Parkverwaltungen zusammenarbeiten. Denn die Aufgabe ist komplex und sie brauchen Erfahrung im Naturschutz und in der Zusammenarbeit mit der Bevölkerung vor Ort. Und vor allem müssen sie 5 von den 15 Millionen (1 Million pro Jahr pro Park) selbst mitbringen. Deshalb kamen in dieser Runde internationale NGOs zum Zug, die mit ihren Unterstützern also mit großen Stiftungen kamen. Im Moment prüfen wir sieben Pilotprojekte. Bei der nächsten Ausschreibung, Anfang kommenden Jahres, kann sich das ändern.

SenGermany: Das heißt, die Antragssteller müssen Eigenmittel mitbringen.

Stefanie Lang: Ja! Eigenmittel bzw. Unterstützer, die bereit sind, für diese Projekte Geld zu geben.

SenGermany: Welche Höhe? Welcher Prozentsatz?

Stefanie Lang: Ein Drittel.

SenGermany: Ich höre von verschiedenen Projekten, die ganz speziell sind aber mit einer sehr großen Wirkung. Das heißt zum Beispiel „Rettet die Biene“ oder „Rettet die Bestäuber“. Wenn man die Biene rettet, rettet man indirekt die Menschen.

Stefanie Lang: Ja genau für die Nahrung!

SenGermany: Gibt es ähnliche Beispiele auch in Ihren sieben Pilotprojekten? Das müssen nicht unbedingt Bestäuber sein.

Stefanie Lang: Wir streben einen Portfolioansatz an. Das heißt, wir versuchen für verschiedene ökosystemare Dienstleistungen und Habitate auch verschiedene Parks zu finden. Wir brauchen Projekte, die in den Bergen sind. Wir brauchen Projekte, die Regenwald haben. Wir brauchen auch Projekte mit Savannen und Halbwüsten. Und unsere Projekte dürfen nur in ODA-Länder angesiedelt sein. Also nur in entwicklungshilfefähigen Ländern.

SenGermany: Wieviel Zeit vergeht von der Bewerbung bis zur Genehmigung? Können Sie das schätzen?

Stefanie Lang: Das wird sehr stark davon abhängen, wie wir ausschreiben. Und es wird höchstwahrscheinlich ein zweistufiges Verfahren geben. Wir brauchen erstmal eine Idee als Initiative und dann schauen wir, wie das alles passt. Anschließend prüfen wir die detaillierte Idee, bevor wir final entscheiden. Ich schätze, das alles dauert einige Monate. Aber ganz genau kann ich das im Moment noch nicht sagen. Klar ist: Wenn wir einen Vertrag schließen und eine so lange Partnerschaft eingehen, bedarf es vorher einer sorgfältigen Prüfung: Trägt die Projektidee für 15 Jahre? Ist die Vorbereitung sorgfältig genug? Können alle Akteure halten, was sie versprechen? Gibt es genug Managementsicherheit usw.? Deshalb müssen wir gerade am Anfang etwas mehr in die Vorbereitung investieren, damit das Ganze dann auch 15 Jahre hält.

SenGermany: Wir sind im Jahr 2021. Woran würden Sie einen Erfolg in 15 Jahren messen?

Stefanie Lang: Ein Erfolg wäre, wenn wir bis dahin gezeigt hätten, dass Flächennaturschutz ein wichtiges Mittel ist. Und zwar, weil sich in den von uns geförderten Gebieten Populationen erholen, weil dort ein Mikroklima herrscht, das nicht so stark vom Klimawandel betroffen ist und weil es ein gutes Miteinander mit der lokalen Bevölkerung gibt. Kurz gesagt: Wenn sich durch den LLF spürbare Verbesserungen eingestellt hätten. Das wäre für mich ein erfreuliches Ergebnis. Und ich wünsche mir, noch viel mehr Unterstützung für die Sache, dass der Erhalt von Artenvielfalt zu einer globalen Bewegung geworden ist. Wir brauchen diese letzten Naturgebiete, um als Menschheit zu überleben. Wenn das noch stärker ins allgemeine Bewusstsein eingedrungen wäre, hätten wir viel erreicht. Natürlich müssen wir bis dahin, global betrachtet, den dramatischen Verlust an Artenvielfalt gestoppt haben. Ich hoffe, dass der LLF dabei ein maßgeblicher Faktor war.

Frau Lang, herzlichen Dank für das Gespräch.

 


Das Interview führte Ibrahim Guèye

 

 

 

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