1. Teil des Interviews mit dem Bundestagsabgeordneten Andreas Lämmel, Mitglied im Ausschuss Wirtschaft und Energie
Herr Lämmel, gerade vor zwei Tagen (am 8. Juni 2015) wurde die Dekarbonisierung angekündigt. Dies bedeutet, dass die Energieversorgung bis 2100 ohne Kohle, Erdgas und Erdöl auskommen muss. Und wenn das passiert, machen Sie zwangsläufig einen großen Markt für erneuerbare Energien auf. Wie wird es im Bundestag vorbereitet?
Andreas Lämmel: Die beschlossene Dekarbonisierung läuft ja über einen sehr langen Zeitraum bis zum Ende des Jahrhunderts. Und insofern bin ich davon überzeugt, dass in den nächsten 50 bis 60 Jahren die vorhandenen fossilen Energien weiterhin einen Schwerpunkt bilden werden, weil die erneuerbaren Energien zwar von der Gesamtmenge her den Bedarf zum Beispiel in Deutschland decken könnten. Aber da sie nicht ständig verfügbar sind, muss man eine Grundlastenergie, die über die fossilen Kraftwerke hergestellt wird, sichern.
Sie kommen aus einem Bundesland, wo fossile Energien eine große Rolle spielen. Nordrhein-Westfalen hat dasselbe Problem. Wie wurde die Dekarbonisierung bei Ihnen in Sachsen aufgenommen?
Andreas Lämmel: Wir sind der Auffassung, dass wir in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage vor allen Dingen darauf achten, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben. Insofern stehen die Leute bei uns in Sachsen zu Braunkohle, die seit 1920 gefördert wird. Und deswegen kann ein Ausstieg aus der Kohle auch nur ein langer Prozess sein. Man kann nicht über Nacht den Schalter umlegen und meinen, man dekarbonisiert jetzt die Energieerzeugung. Der Prozess ist in Deutschland schon eingeleitet und die erneuerbaren Energien sind im Vormarsch. Wenn Sie die Zahlen zur Energieerzeugung vergleichen, werden Sie feststellen, dass wir zehnmal so viel Kapazität an erneuerbaren Energien als Kohle in Deutschland installiert haben aber die erneuerbaren Energien produzieren insgesamt fast nur so viel wie die Kohle. Also auf dieses Missverhältnis, zehnmal höhere installierte Leistung aber gleicher Ertrag muss deutlich hingewiesen werden. Damit kann man sehen, ohne die Grundlasterzeugung aus fossilen Energieträgern kann die Energieversorgung in Deutschland gar nicht sichergestellt werden.
Jetzt sagen die Franzosen, dass Deutschland seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima entschieden hat weniger Atomkraft zu haben aber dafür mehr Energie aus fossilen Quellen und damit verpesten Sie die Luft in Europa. Was sagen Sie dazu?
Andreas Lämmel: Das kann ich nicht nachvollziehen, denn es wurden ganz alte Kraftwerksblöcke Stück für Stück stillgelegt. Es wird auch weitergehen. Und andererseits der Anteil, den Deutschland an der CO2-Produktion der Welt erbringt, liegt in so kleinen Bereichen, dass die Kohlekraftwerke in Deutschland, auch wenn wir sie alle sofort abschalten würden, keinen wirklichen Beitrag zur Verbesserung des Weltklimas erbringen würde. Und im Gegenteil, wenn man die große Anzahl chinesischer oder russischer Kraftwerke mit der modernen deutschen Technologie ausstatten würde, also mit Rauchreinigung, um Staubemission zu reduzieren, würde es einen größeren Beitrag zur Sicherung des Weltklimas bringen. Und die Franzosen haben sich ja die Kernenergie als erneuerbare Energie anerkennen lassen. Also jedes Land hat einen anderen Energiemix. Jedes Land muss seinen Weg auch finden. Aber Deutschland ist ein Industrieland und wir brauchen eine sichere und bezahlbare Energieversorgung und wir legen große Werte auf eine ökologische Energieerzeugung.
Jetzt zu den Beziehungen Deutschland-Afrika. Der ehemalige Umweltminister Frankreichs, Jean-Louis Borloo, hat eine Initiative „Energie für Afrika“ eingeleitet, die jetzt sogar eine Stiftung ist. Und er sagt, wenn die Industrieländer Afrika helfen, mehr Strom zu erzeugen, bedeutet das für Europa zwei Prozent mehr Wachstum im Jahr. Würden Sie als deutscher Politiker mitwirken?
Andreas Lämmel: Generell ist klar, dass die Verfügbarkeit von Energie die Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung in Afrika bedeutet. Deshalb gab es ja die Vorstellung schon mal die Initiative Deserttech, die in Nordafrika eine große Anzahl von Solarkraft- und Windkraftwerken errichten wollte, um Energie zu erzeugen. Das Projekt hat aus verschiedenen Gründen nicht funktioniert. Es ist auch unbestritten, dass man aus Deutschland oder Europa heraus Unterstützung geben soll. Nur was mich stört, ist der Versuch aus Europa heraus den afrikanischen Ländern vorzuschreiben, welche Energiepolitik sie machen sollen.
Wen meinen Sie?
Andreas Lämmel: Also das man jetzt versucht Beschlüsse in der Weltbank oder in anderen Entwicklungshilfeorganisationen zu fassen, damit keine Förderung des Neubaus von Kohlkraftwerken stattfinden soll. Ich finde, dass es wieder einen Schritt zu weit geht, wenn ein Land in Afrika, sich ein Energiekonzept gibt, dieses zu kritisieren. In jedem Land muss man sich überlegen, wie man eine Grundlast sicherstellen kann und anschließend dezentral mit erneuerbaren Energien weiterkommt. Aber eine stabile Energieerzeugung für Afrika ist, glaube ich, der Schlüssel für die weitere wirtschaftliche Entwicklung.
Haben Sie konkrete Beispiele in der Zusammenarbeit mit einem afrikanischen Land im Bereich Energie?
Andreas Lämmel: Es gibt verschiedene Entwicklungsprojekte teilweise über die Weltbank finanziert, teilweise auch über andere Quellen an denen auch deutsche Finanzinstitute oder deutsche Ausrüster mitwirken. Und andererseits gibt es im Bereich der erneuerbaren Energien ein sehr interessantes Projekt in Ruanda, wo man praktisch Solaranlagen für den normalen Bürger installiert. Und das Model ist so gestaltet, dass sich die Anlage über den Strompreis amortisieren kann. Man muss Preise so gestalten, dass sie eine Refinanzierung der installierten Anlagen sichern. Deutschland wirkt an solchen Projekten mit. Wir bemühen uns zum Beispiel auch im Kongo um eine stabile Energieversorgung. Eine Beteiligung an dem großen Wasserwerkprojekt Inga III wird gerade geprüft.
Das ist ein sehr großes Projekt?
Andreas Lämmel: Aber auch interessant für uns. Also man kann sagen, an verschiedenen Stellen in Afrika mit verschiedensten Technologien sind wir auch als Deutsche beteiligt, um das Thema Energieversorgung voranzutreiben.
Herr Mabousso Thiam, Generaldirektor einer Förderagentur für den Mittelstand im Senegal sagte mir am 30. Mai 2015, dass die meisten Europäer, die erneuerbare Energien in Afrika anbieten, nur an ländlichen Regionen denken. Aber die Kaufkraft liegt im Mittelstand und in den Städten. Und ich vermute, dass Ihr Projekt in Ruanda ihn interessieren würde.
Mabousso Thiam: „Die meisten Europäer, die erneuerbare Energien in Afrika anbieten, denken nur an ländlichen Regionen. Aber die Kaufkraft liegt im Mittelstand und in den Städten.“Andreas Lämmel: Dieses Projekt, das zurzeit in Ruanda läuft, ist auch ein gefördertes Projekt, um Erfahrungen zu sammeln. Mit einem neuen Ansatz soll das Projekt zur Serienreife geführt werden. Und wenn das funktioniert, wie man sich das vorstellt, ist das egal, ob man das in der Stadt oder in ländlichen Räumen einsetzt. Es geht darum, eine Anlage zu installieren, Leitungen und Steckdosen zu legen, sodass man Fernsehen kann, einen Kühlschrank betreiben kann und genug Strom für den Haushalt hat. Aber die Anlage muss sich über den Strompreis refinanzieren. Ansonsten werden diese Modelle alle nicht funktionieren. In Afrika sehen wir, dass die Erkenntnis, dass man für Wasser und für Strom bezahlen muss, sich noch nicht überall durchgesetzt hat.
Aber in den Großstädten ist es kein Problem.
Andreas Lämmel: Genau. Das ist ja jetzt das Entscheidende. Man muss sehen, diese ganze Technologie ist nicht billig. Sie ist in Deutschland entwickelt worden und in Deutschland zahlen die Leute mehr dafür. Wenn man jetzt nach Afrika gehen will, braucht man Systeme, die bezahlbar sind und vom technischen Aufwand her so angepasst sind, dass sie vor Ort instandgehalten werden können und nicht hochkompliziert sind. Man muss sie für den Einsatzort ganz einfach benutzen können, denn es gibt verschiedene Probleme wie das Thema Staub, was bei Solarpanels natürlich sehr negativ ist. Es gibt das Problem der hohen Sonneneinstrahlung. Aber es wird Lösungen geben, die sich in den Städten durchsetzen werden. Davon bin ich überzeugt. Aber wir sind jetzt noch vielleicht fünf Jahre zu früh.
Das Gespräch führte Ibrahim Guèye
Andreas Lämmel und Ibrahim Guèye